von Tim Füngerlings
Wenn man sich kurz nach dem Aufstehen schon denkt: „Warum um alles in der Welt tu ich das Ganze!?“ Genau in dieser Situation befinde ich mich, als man mir Sonntagfrüh die Augen verbindet. Ich will einen Tag lang blind sein. Beziehungsweise wollte ich das in einer unserer ultra-kreativen Cursiv-Sitzungen. Mittlerweile frage ich mich, was mich geritten haben muss, um auf diese Idee zu kommen…
Wie dem auch sei. Ich stehe also mit verbundenen Augen in der Küche. Doch was nun? Radio hören? YouTube-Videos schauen scheint mir nämlich nicht die allerbeste Lösung zur Zeitüberbrückung zu sein. Also erstmal gemütlich ein Glas Wasser trinken. Doch wie bekomme ich das Wasser in das Glas? Und wo sind überhaupt der Wasserhahn und das Glas? Fragen über Fragen. Da hilft nur eins: Vorsichtig herantasten. Ich wohn schließlich seit 10 Jahren in diesem Haus! Nach gewissen Orientierungsproblemen und einem fast-umgeworfenen Stuhl bekam ich das Wasser dann doch erfolgreich ins Glas und konnte trinken. Das wird wohl ein anstrengender Tag werden… Nächste Herausforderung: Mein Zimmer ist im ersten Stock. Ich muss also in den Hausgang, dann die Treppe hinauf und dann auch noch die Zimmertür finden! Zum Glück immer unter der Überwachung meines Bruders, gelingt mir schließlich auch dies und ich lasse mich auf mein Bett nieder. Pause wem Pause gebührt! Während ich so nachdenke, fällt mir plötzlich Ray Charles ein, ein blinder Jazzpianist, über den ich noch letztes Jahr im Musikunterricht einen Film gesehen habe. Wenn der es schafft, ganze Konzerthallen zu füllen, dann werde ich doch wohl auch ein einfaches Lied klimpern können, oder? Challenge accepted! Ich sitze also in Ray Charles – Manier vor meinem Keyboard; und bin erstmal überfordert! Nach einer eher weniger aufregenden „Suche“ nach dem Anfangston komme ich dann doch nach und nach in einen Flow. Manche Dinge kann man eben doch „blind“. Soweit so gut, spätestens beim Dartspielen bin ich dann doch gescheitert. Zitat mein Bruder: „Tim, die Wand ist frisch gestrichen, ich glaub das lass ma lieber. Wenn du so weiterwirfst, sind da mehr Löcher als Farbe…“ Gemeinheit, ich wäre bestimmt noch besser geworden! Wie dem auch sei, ich gebe mich wieder der Musik hin. Diesmal aber wesentlich entspannter über meine Kopfhörer im Bett.
Als ich am Abend den Schal vor meinen Augen wegnehmen darf, wird mir bewusst, wie einfach viele alltägliche Dinge sind, nur weil wir sehen können. Dabei war ich nur in gewohnter Umgebung in meinem Haus! Allein die Zeit und Konzentration, die man zur Fortbewegung benötigt, ist immens. Eine richtig interessante Erfahrung war es auf jeden Fall trotzdem. So erlebt man seinen Alltag mal vollkommen anders…